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Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab

Hans-Peter Stalder
May 23, 2025
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Der LCH erkennt die Probleme der Selektion

Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) anerkennt die problematischen Seiten der Selektion, setzt aber bei den Lösungsvorschlägen aufs falsche Pferd.

Chancengerechtigkeit bleibt auf der Strecke

Der LCH sieht die Nachteile der schulischen Selektion klar. Im Positionspapier heisst es: „Untersuchungen belegen, dass nicht nur die schulischen Leistungen, sondern auch andere Faktoren wie die soziale und wirtschaftliche Situation der Familie sowie individuelle Faktoren der Schülerinnen und Schüler beeinflussen, in welches Anforderungsprofil Schülerinnen und Schüler im Zyklus 3 eingeteilt werden. Dies widerspricht dem Grundsatz der Chancengerechtigkeit, wonach allein die persönliche Leistung zählen sollte. Solche Einteilungen sind sowohl für das betroffene Individuum als auch für die gesamte Gesellschaft nachteilig.“ Weiter wird festgehalten: „Untersuchungen zeigen, dass unpassende schulische Zuteilungen und eingeschränkte Durchlässigkeit individuelle wie auch volkswirtschaftliche Nachteile verursachen.

Reformvorschläge greifen zu kurz

Trotz dieser Erkenntnisse hält der LCH an der Selektion fest. Seine Lösungsvorschläge zielen darauf ab, die bestehenden Prozesse gerechter zu gestalten. Doch diese bleiben im alten System verhaftet und greifen deshalb zu kurz. Bereits 1995 stellte die Pädagogische Kommission der EDK fest: „Offenbar gelingt es auch in einer vierzügigen Sekundarstufe I nicht, Überschneidungen sogar zwischen dem tiefsten und höchsten Zug zu vermeiden. Die Tatsache der beträchtlichen Überschneidungen zeigt die Fragwürdigkeit der Trennung in Züge auf.

Ein überholtes System aus dem 19. Jahrhundert

An dieser Situation hat sich bis heute wenig geändert. Der LCH hätte somit seit Jahrzehnten Anlass gehabt, die schädlichen Folgen der Selektion anzugehen. Die schulische Selektion wurde im 19. Jahrhundert in einer von sozialen Ständen geprägten Gesellschaft eingeführt. Am selektiven System aus dem vorletzten Jahrhundert festzuhalten, obwohl die schädlichen Nebenwirkungen für Individuen und Gesellschaft belegt sind, ist nicht nachvollziehbar.

Selektion als Belastung für Lehrpersonen

Die Selektion ist zudem für Lehrpersonen mit grossem Aufwand verbunden: Vergleiche, Prüfungen, Elterngespräche, Rekurse und Administration binden Ressourcen, die sinnvoller in pädagogische Arbeit investiert werden könnten. Viele Schulen arbeiten bereits heute erfolgreich mit Modellen, die die Selektion abmildern. Doch die Etikettierung „Schülerin/Schüler mit Grundanforderungen“ und deren negative Auswirkungen sind weiterhin gesetzlich vorgeschrieben. Genau hier setzen die kantonalen Initiativen für einen selektionsfreien Übertritt in die Sekundarstufe I an: Es geht um die Abschaffung dieser schädlichen Etikettierung.

Zeit für einen echten Wandel

Oder wie es in einem Sprichwort heisst, dass den Dakota-Indianern zugeschrieben wird:

Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab.

Hans-Peter Stalder
Ehem. Schulkommissionpräsident, Vater von zwei erwachsenen Kindern